Franz Joseph Gall

  1. * 9. März 1758 in Tiefenbrunn bei Pforzheim

  2. † 22. August 1828 in Paris

wuchs in ländlichem Umfeld auf und entwickelte so auf ganz natürliche Weise ein Interesse an Tieren und ihrem inneren Aufbau. Ab 1777 lernte er Medizin in Straßburg, zog aber 1781 nach Wien, um dort vier Jahre später sein Studium zu vollenden. Hier formulierte er auch seine „Schädellehre“ oder „Organologie“, deren Grundsätze erstmals 1791 publiziert wurden, und verbreitete sie durch private Vorlesungen in seinem eigenen Hause. Diese Praxis wurde aber von hoher Stelle jäh beendet:
  1. „Da über diese neue Kopflehre, von welcher mit Enthusiasmus gesprochen wird, vielleicht manche ihren eigenen verlieren dürften, diese Lehre auch auf Materialismus zu führen, mithin gegen die ersten Grundsätze der Religion und Moral zu streiten scheint, so werden Sie diese Privatvorlesungen alsogleich [...] verbieten lassen."

  2. (handschriftliche Anweisung Kaiser Franz II, 1801)

Es folgte eine dreijährige Vortragsreise durch Europa, auf der Gall neue Anhänger für seine Ideen finden musste. Ihm waren triumphale Erfolge beschieden, allerdings auch erbitterte Gegner (u. a. Herder). 1805 wohnt Goethe einem dieser Auftritte in Jena bei. Der norwegische Philosoph und Naturforscher Henrich Steffens war ebenfalls zugegen und berichtete wie folgt:

  1. "Goethe saß nun unter den Zuhörern auf eine höchst imponierende Weise. Selbst die stille Aufmerksamkeit hatte etwas Gebietendes, und die Ruhe in den unveränderten Gesichtszügen konnte dennoch das steigende Interesse an der Entwicklung des Vortrages nicht verbergen. [...] Gall beschäftigte sich eben mit der Darstellung der Organe verschiedener Talente, und bei seiner unbefangenen Art, sich zu äußern, scheute er sich nicht, die Exemplare, zur Bestätigung seiner Lehre, unter seinen Zuhörern zu wählen. Er sprach zuerst von solchen Schädeln, die keine, in eine Richtung ausgezeichnete Erhebung darstellten, wohl aber ein schönes, bedeutendes Ebenmaaß aller; und ein lehrreiches Exemplar eines solchen Gebildes erkannte man, wenn man den Kopf des großen Dichters betrachtete, der seine Vorträge mit seiner Gegenwart beehrte. Das ganze Auditorium sah Goethe an. Er blieb ruhig, ein kaum bemerkbares vorübergehendes Mißvergnügen verlor sich in einem unterdrückten ironischen Lächeln, aber die stille, unbewegliche imponierende Ruhe seiner Gesichtszüge ward dadurch nicht gestört."

Gall selbst schreibt über diese und die daraus folgenden Begebenheiten folgendermaßen:

  1. "Als ich nach Halle kam, wartete dort schon Göthe auf mich, er war in der Absicht dahin gereist, obwohl er sich sehr übel befand. - Er war mein eifrichster Zuhörer, und diese Ehre wurde mir sehr beneidet. Noch obendrein mußte ich ihm öfters eigene Vorlesungen zu Hause geben, damit wir ja mit unsern wechselseitigen Ideen recht vertraut werden sollten. Er bestättigte häufig meine Sätze mit seiner eigenen Erfahrung, und war überaus glücklich bey dem Übergang meiner Aufschlüsse über die bestimmten Eigenschaften des Geistes etc. Unsere Gemüthe schmolzen recht oft so inniglich zusammen. Wir sahen und verließen uns nie, ohne uns herzlich zu umarmen. Es ist aber auch wahr, Göthes Kopf ist ein göttlicher Kopf, was es vorragt, wie edel es sich hinwölbt, wie sichs zum Bild eines Jupiters eignet - ach Streicher, bey solcher Erscheinung möchte ich mir selbst Weihrauch streuen und mir zurufen, ach du seeliger Gall!"

  2. (Brief an J. Andreas Streicher, 15. Okt. 1805)

Während seiner Vortragsreise sammelt Gall eifrig weitere Anschauungsstücke zur Untermauerung seiner Thesen in Haft- und Irrenanstalten sowie Waisenhäusern. Gegen Ende der Reise besuchte er Goethe nochmals in Weimar und durfte ihm eine Gesichtsmaske abnehmen, die ebenfalls seiner Sammlung einverleibt wurde.

Schließlich ließ sich Gall in Paris nieder, dass für seine liberale Einstellung berüchtigt war. Hier feierten ihn alle Stände, einschließlich des Klerus. Einziger Dämpfer war eine negative Kritik des Institut de France an einem von ihm bei dieser Institution eingereichten Memoires. Ungeachtet dessen errichtete Gall wie schon in Wien eine gut gehende Praxis und veröffentlichte 1810-1819 sein Lebenswerk.

Ein erneutes Treffen mit Goethe ist nicht belegt, allerdings nahm Gall bis zuletzt Anteil an dessen Leben.

  1. „Tausend Dank für die herrliche Büste von dem großen Goethe. Erlauben Sie mir einige Bemerkungen zu machen. Als ich das Glück hatte, Goethe persönlich in Weimar kennen zu lernen, schien mir sein Kopf größer als nun die Büste ist. Hat etwa der Künstler denselben verkleinern zu müssen geglaubt? Ebenso fiel mir damals die seltene große länglicht vorstellende Erhabenheit auf dem oberen mittleren Teile der Stirne sehr auf. Auch diese Erhabenheit erscheint mir jetzt auf der Büste in verkleinertem Maßstabe. So sehr also diese Büste ein reiner Abguss zu sein scheint, so fürchte ich doch, dass manches daran verkünstelt worden sein möchte. Da sich also der kostbare, in Jahrtausenden nicht wieder zum Vorschein kommende Mann nicht mehr entschließen will, sich genau ungekünstelt abgießen zu lassen, so beschwöre ich Sie, alle Umgebungen des einzigen Genies zu bestechen, dass womöglich der Kopf in Natura der Welt aufbewahrt bleibe, dass nach dem Tode der Kopf geschoren und ganz, sowohl von hinten als von vornen in Gips abgegossen werde.“

  2. (Brief vom Mai 1827)

Gall blieb bis zu seinem Tode 1828 in Paris wo ihm, wie schon sein ganzes Leben hindurch, die akademische Welt die kalte Schulter zeigte, während er in der gehobenen Gesellschaft zahlreiche glühende Verehrer hatte. Seinem Testament gemäß wurde Galls eigener Schädel seiner Sammlung einverleibt.

 
Zurück zu „Personen“Personen.html